„Alles wirkliche Leben ist Begegnung“

Dieser Satz stammt von Martin Buber. Begegnungen bestimmen unser ganzes Leben. Ja wir selbst, unser Ich, wie Buber es nennt, entfalten uns nur in der Begegnung mit einem Du. Die Begegnung von Ich und Du wird so zur Beziehung, zu einem Aufeinander-bezogensein von uns selbst und den Anderen. Diese Einsicht prägt nicht nur die Philosophie Martin Bubers. In vielfältiger Weise, aber immer in ganz unterschiedlichen Ausprägungen wird die Geschichte des europäischen Denkens von Platon über Augustinus, Kant und Hegel bis zu Heidegger, Wittgenstein und Habermas durch die Beziehung von Ich und Du bestimmt.

Noch wesentlicher aber scheint mir, dass der Glaube der Christen gänzlich von der Überzeugung getragen ist, dass es diese Begegnung nicht nur zwischen Menschen, sondern auch zwischen Gott und mir selbst geben kann: Für Christen ist Gott nichts Numinoses, Jenseitiges, das weit weg ist und mit dem wir nicht wirklich etwas zu tun haben. Gott ist kein abstraktes höchstes Wesen. Im Gegenteil: Für Christen ist Gott eine Person. Gott hat ein Gesicht und zwar das Gesicht Jesu Christi. Jesus zeigt uns Gott, wie er ist und wie wir ihn wahrnehmen können. Wenn man so will, ist Jesus „Gottes letztes Wort“, seine unwiderrufliche Selbstmitteilung an uns. Damit ist er in Beziehung zu uns getreten, und er will, dass wir als die jeweiligen Personen, die wir sind, ihm begegnen. Als Christ glaube ich: Gott kennt mich beim Namen, und zwar genau als der, der ich bin – so und nicht anders, mit allen meinen Schwächen und Stärken. Er begegnet mir, er teilt sich mir mit und ich kann mich ihm mitteilen. Und diese Begegnung als bedingungslose Liebe zu erfahren und dadurch mein Leben bestimmen zu lassen, ist der Kern der christlichen Botschaft.

Das gilt auch dann, wenn wir finden, dass wir Gott nicht erfahren können oder ihn als schweigenden Gott erleben. Auch dann, wenn wir meinen, eigentlich nichts Substantielles über ihn aussagen zu können – also was er ist, was er nicht ist und vor allem wo er ist. Gerade dann begegnen wir ihm in der Person Jesu. Deshalb sagte Martin Buber auch, wenn auch als Jude in Bezug auf Gott allein und nicht auf Jesus: “Wenn an einen Gott glauben bedeutet, von ihm in der dritten Person reden zu können, glaube ich nicht an Gott. Wenn an ihn glauben bedeutet, zu ihm reden zu können, glaube ich an Gott.” Denn wenn wir von Jesus eines lernen können, dann doch dies: Dass mir Gott in Jesus genau als der erscheint, der er ist. In ihm komme ich Gott nahe, so fern er auch sein mag. An diese Begegnung glauben Christen. Diese Begegnung zu erfahren ist wirkliches Leben.

Das zu glauben mag heute schwierig sein, vielleicht schwieriger als früher, wo all das Glaubenswissen, das uns durch die europäische Bildungstradition vermittelt wurde, noch selbstverständlicher vorhanden war. Aber es geht gar nicht darum, Gott – mit welchen Mitteln auch immer – wissenschaftlich zu beweisen und mit unserem modernen Weltbild in Einklang zu bringen. Denn wie der große “Atheist” Ludwig Wittgenstein einmal schrieb: “Wir fühlen, dass, selbst wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind.” So geht es uns immer wieder. Unser wissenschaftliches Weltbild beantwortet heute viele Fragen. Aber unsere Lebensprobleme löst es nicht. Unser tiefstes Lebensproblem aber ist, welchen Sinn dieses Leben, das wir führen, denn überhaupt hat und welchen Sinn das alles – die Welt schlechthin – denn hat. Diese Frage stellt sich heute – trotz allen wissenschaftlichen Fortschritts – mehr denn je. Deshalb formulierte Wittgenstein auch: “Den Sinn des Lebens, das heißt den Sinn der Welt, können wir Gott nennen.” Und dass dieser Sinn zur Freiheit führt, letztlich nur dieser Sinn, genau daran glaube ich. Dieser Sinn, den zu erfahren heute so schwierig ist, der uns aber in Jesus begegnet, führt letztlich zu der Freiheit, die erst ein wirklich menschenwürdiges Leben ermöglicht. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass die weiteste dem Menschen mögliche Form der Freiheit der Glaube an Gott ist.

Dieser Beitrag wurde unter Uncategorized veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.

Hinterlasse einen Kommentar